
01.05.24
Theater
Der Prinz, der keine Drachen töten will
Mit «Prinz*in» bringt der Theatermacher Kim Emanuel Stadelmann ein queeres Stück auf die Bühne. Ein Wagnis, inspiriert von einer dramatischen Schulzeit.
Aleksandra Hiltmann (Text) und Roberto Conciatori (Bild)
Ein sonniger Morgen in Luzern. Vor dem Café Lokal hinter dem Historischen Museum sitzt Kim Emanuel Stadelmann an einem kleinen Tisch. Auf seinen Knien liegt seine Bulldogge. «Uns gibt’s nur im Doppelpack. Filou hat auch eine kleine Rolle im neuen Stück», sagt er lachend und streichelt den Hund.
«Prinz*in» feiert am 11. Mai Premiere in Luzern. Ein «queeres Solo» für ein jugendliches bis erwachsenes Publikum, das fragt: Was wäre, wenn du sein kannst, wer du willst?
Stadelmann spielt mit diesem Stück seine erste Solorolle. Zu Beginn einen Prinzen, wie man ihn kennt – Drachen töten, mutig durch den dunklen Wald reiten, Prinzessin mit Kuss retten. Doch irgendwas stimmt da nicht. Denn der Prinz ist eigentlich Vegetarier, hat Angst im Dunkeln und weiss, dass Frauen nicht immer gerettet und wachgeküsst werden wollen. Wer ist der Prinz also wirklich? Spielerisch öffnet das Stück den Raum für Fragen rund um Geschlechtsidentitäten und stereotype Rollenbilder.
«Prinz*in» ist eine autobiografische Fiktion. Der rote Faden: Stationen aus Stadelmanns Werdegang. «Ich lebte schon immer queer», sagt er. Als Kind macht er Ballett, spielt mit Puppen, tanzt vor der Nachbarschaft im Tütü. «Das war einfach ich. Ich sah bereits damals keinen Grund, das zu verstecken.»
«Huere härti Ziite» in der Jugend
Im aargauischen Menziken, wo Kim Emanuel Stadelmann aufwächst, wird das zum Dorfgespräch. «Eltern verboten ihren Kindern, mit mir zu spielen.» Je älter er wird, desto heftiger werden die Anfeindungen. Mit zwölf outet er sich öffentlich. Die Jahre in der Bezirksschule seien «huere härti Ziite» gewesen. Er wird beschimpft, beleidigt, geschlagen. Auf dem Nachhauseweg passen ihn Jugendliche ab, zerstören sein Fahrrad, werfen ihn in den Dorfbrunnen. Halt findet er bei seiner Familie.
Mit sechzehn geht er weg vom Dorf, zieht in ein besetztes Haus in Luzern, macht den gestalterischen Vorkurs, trifft sich mit anderen queeren Jugendlichen, vernetzt sich im Internet, das damals gerade aufkam. «Da tat sich eine neue Welt auf», erinnert sich Stadelmann. Plötzlich ist er umgeben von Menschen, die ganz andere Lebensentwürfe leben als jene, die er aus Menziken kannte. «Niemanden störte es, wer ich war oder wen ich liebte.» Ein Befreiungsschlag.
Sein Weg führt ihn weiter zur Ausbildung in sozialer Arbeit, danach absolviert er die Theaterschule Comart in Zürich. Heute arbeitet er freiberuflich als Schauspieler, Vermittler und Gastdozent. Er gibt am Historischen Museum Luzern Theaterführungen, leitet eine Kinder- und eine Inklusionsgruppe am Voralpentheater und entwickelt Aufführungen mit der Theatergruppe Luki*Ju.
Ein Gegenentwurf
Obwohl er als Künstler heute etabliert ist – Mut brauche er weiterhin. Denn gerade die Idee zum neuen Stück entstand aus einer Kritik an einem Format, das ihm bis anhin zuverlässig einen Teil des Lebensunterhaltes finanzierte: Märchenaufführungen für Kinder. Oft spielte er dort eine Hauptrolle – den klassischen Prinzen. «Es waren tolle Tourneen. Aber die Erzählweise war sehr maskulin und binär. Dabei können Märchen doch viel mehr bieten.» «Prinz*in» ist sein Gegenentwurf.
Aber braucht es das überhaupt noch in einem Land, in dem es nun die «Ehe für alle» gibt, wo gerade unter jungen Leuten verschiedenste Geschlechtsidentitäten und Beziehungsformen gelebt werden?
«Natürlich ist die Welt nun eine andere», sagt Kim Emanuel Stadelmann. In der Schweiz habe sich die rechtliche Situation für queere Menschen verbessert. Und Jugendliche könnten heute auf Streamingplattformen Serien mit queeren Charakteren finden, immer wieder outen sich Popstars, Sportlerinnen, Politiker. Queere Menschen würden generell immer sichtbarer werden. «Doch sichtbarer zu sein, bedeutet nicht, auch sicher zu sein.»
In der Schweiz erfahren queere Personen immer wieder Gewalt. 2022 wurden bei der LGBTIQ-Helpline der Organisation Pink Cross 134 Hate Crimes gemeldet, fast 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch kulturelle Veranstaltungen für Kinder bleiben nicht von dieser Gewalt verschont. Im Oktober 2022 stürmten Rechtsextreme in Zürich eine Dragqueen-Lesung. «Ich habe bereits in 38 Produktionen gespielt. ‹Prinz*in› ist die erste, für die wir gebeten wurden, ein Sicherheitskonzept zu entwickeln», sagt Stadelmann.
Er nimmt das in Kauf. Aus Überzeugung. Für Stadelmann bedeutet Theater mehr als Unterhaltung. Er möchte anspruchsvolle Themen aufgreifen und zum Nachdenken anregen, auch wenn er damit aneckt. «Wir finden dein Stück toll, aber wir wollen die Kinder nicht überfordern», hörte er etwa als Feedback zu «Ente, Tod und Tulpe», einem Stück, in dem er während der Pandemie das Sterben thematisierte.
«Sichtbar zu sein, bedeutet nicht, auch sicher zu sein.»
In einem sicheren Rahmen
Von seinem Konzept lässt er sich also nicht abbringen. «Man darf Kindern und Jugendlichen etwas zutrauen. Sie nehmen ihre Umwelt intensiv wahr und machen sich Gedanken darüber.» Auch Fragen rund um Geschlechtsidentität seien sehr präsent. «Mit ‹Prinz*in› reagieren wir auf die Lebenswelt junger Menschen.»
Im Gespräch betont er mehrmals, dass man nicht indoktrinieren wolle. Sondern einladen, sich in einem sicheren Rahmen Gedanken dazu zu machen, wer man sein möchte. Queeren jungen Menschen könne «Prinz*in» eine Identifikationsfigur bieten, nicht queeren die Angst vor anderen Lebensentwürfen nehmen – ohne sie in Letztere hineinzwängen zu wollen.
Geplant ist, dass das Stück nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land gespielt wird, unter anderem an Schulen. Für diesen Rahmen bietet das Ensemble zu «Prinz*in» Material zur Vor- und Nachbereitung sowie Workshops an, die zusammen mit Fachpersonen entwickelt wurden.
Immer wieder erlebt Kim Emanuel Stadelmann im Gespräch mit Lehrpersonen, dass diese Angst hätten, queere Themen im Unterricht aufzugreifen – aus Angst vor der Reaktion der Schule und der Eltern. Für Stadelmann eine Bestätigung, dass es genau deshalb Theaterstücke wie «Prinz*in» braucht. Und dass sich die pädagogisch-fachlich abgestützte Arbeit lohnt, um Lehrpersonen eine fundierte Hilfestellung zu bieten.
Stadelmann ist überzeugt, dass gerade Theater als Medium wertvoll sei, um mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. «Theater ist verspielt, liebevoll, kreativ. Es berührt auf einer emotionalen Ebene.» Das könne neue Zugänge zu Themen eröffnen.
An seinem jungen Publikum schätzt er, dass dieses «brutal ehrlich» sei – aber auch offen. Das lässt ihn hoffen, dass es so für einige leichter wird, eine Antwort auf die Frage der Hauptfigur zu finden: Was wäre, wenn du sein kannst, wer du sein willst?
Für diesen Beitrag haben mitgewirkt:
