19.09.23
Haus ohne Vertrag
Das Neubad in Luzern ist ein kulturelles Leuchtturmprojekt. Doch der Vertrag mit der Stadt läuft Ende Jahr aus, die Verlängerung ist hängig. Ein Gespräch mit der Geschäftsführerin Nathalie Brunner über das Zähnezeigen und städtische Lippenbekenntnisse.
Aurel Jörg (Interview) und Claudia Schildknecht (Bilder)
Höre ich mich um, erfahre ich, Nathalie Brunner sei ein wenig crazy und verfüge über Energie für drei.
Eher für zehn.
Also muss es bei dir verrückt zu- und hergehen?
Ja, ich glaube, man muss einen an der Schüssel haben, um die Verantwortung für das Neubad zu übernehmen. Um dieses Raumschiff durch Stadtpolitik, Quartierentwicklung, finanziellen Erfolg und Personalmanagement zu fliegen – und gleichzeitig einem ganzen Kosmos an verschiedenen Bedürfnissen gerecht zu werden. Selbstverständlich begleitet von einem Team leidenschaftlicher Enthusiast:innen, meinen sogenannten Power Rangers.
Schrecken dich demnach Dinge ab, die nichts an der Schüssel haben?
Nein, ich setze mich tagtäglich mit Keramik auseinander. Manchmal kommt es perfekt, manchmal ist es schief, manchmal fällt es auf den Boden und man muss die Scherben zusammenkleben.
Oft höre ich, das Neubad sei konturlos, ein Haus, das es allen recht macht. Ist das Neubad zu angepasst? Ich kenne niemanden, der diesen Ort nicht mag. Braucht ein solches Haus nicht mehr Biss, mehr Ecken und Kanten?
Ich habe das Neubad 2021 übernommen. Das Betriebskonzept ist unverändert seit 2012 und besagt, dass wir eine «Kultur der Offenheit» pflegen. In diesem Betriebskonzept steht nicht drin, dass das Neubad Biss haben muss – vielmehr muss es innovativ sein und sich weiterentwickeln können. Vergessen wir aber nicht, dass es nur für vier Jahre geplant war. Und in diesen vier Jahren brauchte es den Biss, um erfolgreich zu sein, um zu beweisen, dass die Idee funktioniert.
Müsst ihr heute weniger Zähne zeigen, weniger zubeissen?
NB Definitiv ja. Es ist vielleicht wie bei einem Hai, wo die Zähne idealerweise nachwachsen, um auch morgen noch kräftig zubeissen zu können. Aber die Frage ist, wen will man denn beissen? Wir sind an einem Punkt, an dem das Neubad eine langfristige Perspektive verdient hat.
Von welchem Punkt sprichst du?
NB Aktuell befinden wir uns in der Verhandlung über bessere Konditionen und die Verlängerung der Nutzung, die zum jetzigen Zeitpunkt immer noch nicht abgeschlossen ist. Es ist – entschuldige – damit ich es auch selbst glauben kann (Nathalie Brunner schaut auf den Laptop vor ihr): Es ist der 28. Juni und wir haben einen Vertrag bis Ende 2023.
Ihr habt also noch rund sechs Monate einen Vertrag.
Wenn wir die Weihnachtsferien abziehen, sogar noch weniger.
Was bedeutet dies für einen Betrieb mit 60 Mitarbeiter:innen?
Diese Unklarheit ist eine grosse Belastung für alle. Unser Ziel ist es, Kultur zu fördern, ohne uns ständig über die Grundlagen unseres Daseins unterhalten zu müssen. Gleichzeitig spüre ich, dass wir die Verlängerung bekommen und dass es gut kommt. Das braucht ordentlich Nerven und Vertrauen. Verträge und Fördermöglichkeiten sind durch die unklare Situation gefährdet, denn wir müssen belegen können, dass es uns ab 2024 noch gibt. Und Innovationen, wie das Inklusionsprojekt «Vereinbar», das im Neubad bereits mehrere Arbeitsplätze für Personen mit Beeinträchtigung zur Verfügung stellt, werden auf mehrere Jahre geplant.
Wäre nun nicht der Zeitpunkt gekommen, Zähne gegenüber der Verwaltung zu zeigen?
Klar wäre das eine Option. Aber die Verwaltung hat offenbar ihre eigenen Probleme, die dazu führen, dass wir heute keinen Vertrag haben. Auch der Umfang der Verhandlung wurde von den Behörden unterschätzt. Wir sind grundsätzlich auf einem guten, aber sehr langwierigen Weg.
Was sind denn die Probleme?
Die Verhandlungen zu den Rahmenbedingungen begannen seitens der Stadt erst spät. Wir haben uns schon Anfang 2022 intensiv vorbereitet und den Prozess vorangetrieben. Tatsächlich begannen die Verhandlungen aber erst Anfang 2023. Dies wurde zusätzlich durch personelle Engpässe in der Dienstabteilung Immobilien erschwert.
Das Neubad wollte per Herbst 2022 einen gesicherten Vertrag und nun liegt noch immer keiner vor.
Wir haben eine Absichtserklärung für eine mehrjährige Verlängerung vom Stadtpräsidenten, aber am Ende des Tages keinen Vertrag. Der Stadt wäre es lieb, wenn wir einfach Copy-and-paste machen und zu den bisherigen Bedingungen arbeiten. Wir aber wollen weiter für Luzern ein innovatives Angebot bieten und eine soziale Arbeitgeberin sein, und dazu braucht es Anpassungen bei den Rahmenbedingungen. Und ja, ich frage mich zum jetzigen Zeitpunkt auch, ob wir mal so richtig zubeissen und hin und her beuteln sollten, dass da was vorwärtsgeht. Denn nach zehn Jahren Leistungsausweis versteht man nicht, wieso es nicht mehr Rückenwind von der Regierung gibt.
«Diese Unklarheit ist eine grosse Belastung für alle. Unser Ziel ist es, Kultur zu fördern, ohne uns ständig über die Grundlagen unseres Daseins unterhalten zu müssen.»
Offenbar ändert sich auch nach zehn Jahren nicht viel, es hört sich an wie damals: Absichtserklärungen und guter Wille, dann würde es schon gut kommen. Konkret, was ist falsch an den Rahmenbedingungen?
Es wurde nichts ins Gebäude investiert. Und das Neubad ist in der Gebrauchsleihe zu hundert Prozent für Unterhalt und Reparaturen verantwortlich – und das bei einem Eigenfinanzierungsgrad von 95 Prozent. Wir arbeiten mehr oder weniger zu den gleichen Bedingungen wie vor zehn Jahren, mit mehr oder minder den gleichen Löhnen. Wir sind ein professioneller Betrieb, die Strukturen bewähren sich und unser Angebot aus Kultur, Gastronomie und Netzwerk ist erfolgreich. Aber das, was wir hier machen, finanzieren wir vor allem aus unserer Bereitschaft, vieles für wenig Lohn zu leisten.
War nicht am «Zeit_Raum_Forum», einer internationalen Veranstaltung für Zwischennutzungen, in diesem Frühling der Tenor, das Neubad müsse in seiner heutigen Form, also im Hallenbad, weitergeführt werden?
Das ist die Frage – wohin geht die Reise? Wird es in Richtung Institutionalisierung gehen, in Richtung Verstetigung? Auch wenn ursprünglich die Idee war: vier Jahre Betrieb und dann aus die Maus. Aber eine Idee wie das Neubad braucht vier Jahre, um die ideale Betriebstemperatur zu erreichen. Luzern ohne Neubad ist unvorstellbar, aber vor allem eines: langweilig. Ob der Stadtrat beziehungsweise die Verwaltung das versteht, wage ich manchmal zu bezweifeln. Auch wenn ich – vielleicht etwas naiv – dachte, nach zehn Jahren sei die Stadt an einem anderen Punkt: Dass sie wirklich schätzt, was das Neubad macht. Dass sie realisiert, unter welchen Umständen wir hier arbeiten und welcher Erfolg das Neubad auch für die Stadt ist. Dass ich nun mit einer Stadtverwaltung und Regierung verhandeln muss, die wieder bei null anfängt, macht mir hinsichtlich der Zukunft grosse Sorgen. Und ja, vielleicht ist das wirklich der Punkt, Zähne zu zeigen. Unsere Strategie ist aber aktuell, diese Verhandlungen auf Augenhöhe durchzuziehen, das Beste für das Neubad rauszuholen. Dies tue ich nun seit genau zwei Jahren und ich bin zuversichtlich, dass wir einen guten Deal bekommen.
Ist es ein Luzerner Phänomen, die Eskalation zu meiden, keine Konfrontation zu wagen?
Das kann ich dir so nicht sagen. Für mich persönlich ist es das erste Mal, dass ich in einer solchen Position bin, dass ich ein Projekt in dieser Grösse mit der Stadt verhandle. Man merkt die Angst vor Innovation seitens der Stadt auch nach zehn Jahren noch. Sie will um keinen Preis Pflöcke einschlagen. Und ich meine, ja, das ist sinnbildlich für die Stadt Luzern ... Ich bin jedenfalls perplex über die Art und Weise, wie die Stadt verhandelt und was uns angeboten wird.
Das ist schon erstaunlich: Anfangs, als das mit dem Neubad als Zwischennutzung begann, war die Haltung der Stadt vielleicht verständlicher. Aber jetzt, nach mehr als zehn Jahren – das Thema Zwischennutzungen ist nun weiss Gott nicht mehr neu, und das Neubad ist zu einem kulturellen Leuchtturmprojekt avanciert –, vertritt die Stadt dieselbe Haltung wie damals.
«Machid mol», «lueged mer mol». Ja, man nimmt das Projekt wahr, man schmückt sich damit.
Genau, das kommt noch dazu.
Für die positiven Faktoren ist man natürlich dankbar. Die Stadt ist dennoch nicht bereit, mutiger in eine Idee zu investieren. Obwohl wir inzwischen alle wissen, dass das Konzept funktioniert und die Stadt in vielerlei Hinsicht vom Neubad profitiert. Es gibt ja nicht nur das Neubad in Luzern – da sind noch zahlreiche andere Kulturbetriebe, die von der Stadt stiefmütterlich behandelt werden. Die Stadt vernachlässigt ihren kulturellen Mittelbau, das ist das grosse Problem. Vor allem auch im Vergleich zum Zweckverband grosser Kulturbetriebe, dem der Teppich immer wieder neu ausgelegt wird. Es fühlt sich so an, als ob wir ein wenig in der Asche rumwühlen dürfen, Glutstücke suchen – und die anderen sich am Feuer wärmen. Deshalb geht es genauso um den Südpol, das Fumetto und das Kleintheater. Um alle diejenigen, die ebenfalls in den letzten zehn Jahren eine starke Entwicklung vollzogen haben und an einem Punkt stehen, wo die Stadt ein Commitment geben müsste, um ein breites und starkes Kulturangebot für die Zukunft zu gewährleisten.
Nathalie Brunner leitet seit 2021 das Neubad. Sie absolvierte eine Ausbildung als audiovisuelle Kauffrau in München und eine Weiterbildung im Bereich Kulturmanagement an der Universität Basel. Als Produktionsleiterin hat sie verschiedene Festivals begleitet und bis zu ihrem Antritt im Neubad als Kulturmanagerin im ehemaligen Kosmos in Zürich gearbeitet.