31.10.24
Musik
Sanfter Aufbruch
Tiziana Greco spielte als Kind Konzerte für Kuscheltiere. Damals fehlte es ihr an musikalischen Heldinnen. Heute ist sie selbst Bandleaderin mit neuem Album.
Timo Posselt (Text) und Kushtrim Memeti (Bilder)
Im Kinderzimmer der Luzerner Musikerin Tiziana Greco steht eine Bühne, von der nur sie weiss. Als Vierjährige stellt Greco dafür ihre Plüschtiere im Kreis auf und ihr Keyboard in die Mitte. Sie macht die Tür zu und beginnt zu spielen. Sie drückt, klimpert, haut auf die Tasten und singt, was ihr in den Kopf kommt. In diesen Momenten lernt Greco, dass sie eine Stimme hat. Doch sie merkt auch: Den Platz dafür muss sie sich selbst schaffen.
Singend durch den Gotthard
Tiziana Greco erzählt die Geschichte aus ihrem Kinderzimmer gleich zu Anfang unseres Gesprächs, das wir an einem Nachmittag Ende September führen. Es ist längst nicht die einzige musikalische Erinnerung der heute 29-Jährigen an ihre Kindheit. Greco ist in Horw aufgewachsen, woher auch ihre Mutter stammt. Ihr Vater kommt aus dem Tessin. Mit ihrer älteren Schwester wächst Greco zweisprachig auf. Wenn die Familie mit dem Auto ins Tessin fährt, hört sie Kassetten. Darauf ist die Musik der Helden ihrer Eltern: von den Beatles oder den Rolling Stones. Mit Joni Mitchell und Janis Joplin sind auch zwei Heldinnen darunter. Damals war es Greco noch nicht bewusst, aber bald ist die Frage, ob es in der Musik neben Helden auch Heldinnen gibt, für sie entscheidend. Auf diesen Autofahrten durch den Gotthard singt die Familie. Oft mehrstimmig. Es sind Tessiner Volkslieder wie «La verzaschina» oder «Sabato di sera». Greco kann sie heute noch. Gerade erst habe sie ein paar Freund:innen einige der Lieder beigebracht, erzählt sie.
Mit einer gelassenen Beiläufigkeit besingt sie die kleinen Auf- und Abbrüche des Lebens, die in der Erkenntnis münden, dass alles vergänglich ist.
Fehlende Vorbilder
Als Tiziana Greco acht Jahre alt ist, steckt ihr ihre Schwester eine CD zu: Es ist «Aquarium» der dänisch-norwegischen Eurodance-Gruppe Aqua, die damals mit «Barbie Girl» einen Welthit landet. Auf den trashigen Erstkontakt mit elektronischer Musik angesprochen, sagt Greco: «Ich finde die immer noch geil.» Kurz darauf schreibt Greco ihre ersten Songs. Sie sind ein Ventil, um die Trennung ihrer Eltern zu verarbeiten. Aber auch für Liebeskummer. «Auch ich war tausend Mal verliebt und hatte tausend Mal ein gebrochenes Herz.» Sie schreibt jedoch auch Songs für ihre Freundinnen und die Mitglieder ihrer Familie. Es gibt keine Aufnahme der Songs, bloss Songtexte und Akkorde auf Papier. Sie ruhen in einer Kiste bei ihr zu Hause. Als Teenie hört Greco zwar Indie-Bands wie Mando Diao oder Arctic Monkeys, spielt aber selbst nicht in einer. «In den Bands, die es damals in meinem Umfeld gab, waren nur Jungs.» Es habe ihr an Vorbildern gefehlt. «Und vielleicht auch etwas an Mut», sagt sie, etwas streng zu ihrem jugendlichen Ich. Sie habe damals zwar Bands mit Sängerinnen wie The XX oder die Yeah Yeah Yeahs geliebt. «Mir selbst traute ich das aber nicht zu.»
Die eigene Stimme gefunden
Das ändert sich mit der Aufführung ihrer Maturaarbeit. Tiziana Greco komponierte für ein zehnköpfiges Ensemble verschiedene Stücke – von Jazz über Funk bis hin zu einem Bossa-Nova-Song. Erstmals ist sie Bandleaderin und nicht mehr nur die Musikerin, die in ihrem Schlafzimmer für sich Songs schreibt. Kurz darauf studiert sie an der Zürcher Hochschule der Künste Jazzgesang und ist enttäuscht vom dort herrschenden Sexismus und davon, wie wenig Platz ihr gegeben wird, um ihre eigene Stimme zu finden. «Das Grundgefühl war immer, dass ich mich als Frau doppelt oder dreimal so oft beweisen musste, um ernst genommen zu werden», sagt sie. Über ein paar wenige Mitstudierende findet sie zum Noise und zur Improvisation, baut bald das Interesse für musikalische Verfremdungen in eigene Performances ein. Gleichzeitig schreibt sie an der Gitarre und am Klavier weiter Songs. Unter dem Namen Luce, mit dem sie nun gemeinsam mit drei Musiker:innen ein neues Album vorlegt, vereint sie diese beiden Pole.
«Blue Star Soft Eyes» ist ein zurückgelehntes Folk-Album mit elektronischen Tupfern und einem musikalischen Zentrum: Tiziana Grecos hell-rauchiger Stimme. Mit einer gelassenen Beiläufigkeit besingt sie die kleinen Auf- und Abbrüche des Lebens, die in der Erkenntnis münden, dass alles vergänglich ist. Darüber könnte man verbittert werden – oder Songs schreiben. Tiziana Greco hat sich früh für Zweiteres entschieden.