Courage. Courage. Courage.

Literaturhaus Zentralschweiz – lit.z, 23.10.2019: Radka Denemarková a.k.a. die Prager Schwalbe ist eingeflogen. Sie liest aus ihrem 2019 auf Deutsch erschienenen Buch «Ein Beitrag zur Geschichte der Freude». In einem geschickten Geflecht aus Fakten und Fiktion thematisiert sie das Schlachtfeld unserer Gesellschaft, das sich der weibliche Körper nennt.

Gewalt. Ignoranz. Sieger und Gefallene einer grausamen und unfairen Schlacht. Es hat sie schon immer gegeben.

Die tschechische Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin Radka Denemarková widmet sich einer bedrückend alten Aktualität – so alt, dass deren Dringlichkeit alle Nähte sprengt. Ihr zweitjüngstes Buch «Ein Beitrag zur Geschichte der Freude» wurde dieses Jahr ins Deutsche übersetzt und gewann den Spycher Buchpreis 2019. Die Jury schreibt: «Radka Denemarková ist eine der provokantesten, politischsten und zugleich eine der poetischsten Autorinnen der Gegenwart.»

Im lit.z in Stans entsteht eine fesselnde Diskussion über die universelle Gewalt gegen Frauen, Unterdrückung, Schuld, Rache und Rebellion. Mit Susanne Sturzenegger als Moderatorin.

Von oben gesehen…

«Ein Beitrag zur Geschichte der Freude» beginnt in Indien, mit jener Schreckenstat, die 2012 die ganze Welt erschüttert hat. Die 23-jährige Jyoti Singh Pandey wurde Opfer einer tödlichen Massenvergewaltigung. Im Zentrum der Geschichte stehen drei ältere Frauen, die sich in Prag zusammenschliessen und Selbstjustiz verüben wollen. In einem Keller sammeln und archivieren sie Fälle, in denen Frauen gegenüber Gewalt verübt wurde. Ein Ermittler, der einen vermeintlichen Selbstmord untersucht, entdeckt die Arbeit im Keller – und findet sich in einem wachsenden Chaos der Ungerechtigkeiten wieder. Er verliebt sich in eine der Frauen und es entwickelt sich eine inhaltlich kontroverse Parallelgeschichte: Sie handelt von der Freude, von der schönen Seite der Sexualität.

«Von oben gesehen ist alles brutal einfach»

Einen kurzen Ausschnitt liest die Tschechin aus der Originalausgabe, bevor sie übersetzt. Denemarková schreibt kurze, prägnante Sätze, die jedoch aneinandergereiht all ihre Simplizität verlieren. Jedes Wort sitzt.

Die Autorin verarbeitet harte Fakten in fliessende Literatur, kreiert eine zeit- und raumübergreifende Collage aus Perspektiven. Jene der Schwalben half ihr, Distanz zur düsteren Thematik zu wahren, denn «von oben gesehen ist alles brutal einfach», schreibt sie. Immer wieder tauchen die Schwalben in der Geschichte auf – im Gegensatz zu den Menschen kennen sie keine Staatsgrenzen, Religionen oder Geschlechterdiskriminierung.

Denemarková selbst bezeichnet sich als «die Prager Schwalbe». 1968 in Tschechien geboren, erlebte sie die Folgen des niedergeschlagenen Prager Frühlings und wuchs somit in einem stark politisierten Umfeld auf. Dies trug einen grossen Teil dazu bei, wie sie heute ist: kritisch, mutig, rebellisch. Ihr neuestes Buch «Stunden aus Blei», in dem sie das chinesische Regime kritisiert, hat ihr ein Einreiseverbot in China eingebracht.

Zum Lachen und zum Weinen

Zum Schluss liest sie auch noch einen Teil aus einem selbstverfassten Theaterstück, worin Virginia Woolf, Sylvia Plath und Ivana Trump ein Gespräch führen. Im Mittelpunkt aber steht ein schwadronierender Besserwisser, der in ein peinliches Fettnäpfchen tritt. Stichwort: Mansplaining.

Zum Lachen und zum Weinen: Radka Denemarková

Das Publikum hängt Denemarková an den Lippen. Ein Abend, der für einige Schmunzler sorgt, aber auch sehr nachdenklich stimmt. So wie «Ein Beitrag zur Geschichte der Freude». Das Buch soll Hoffnungsträger sein, Empathie aussäen, aber vor allem: Stimme geben. Was sie in einem Brief an die Jugend schreiben würde: «Courage. Courage. Courage.»

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