Ein Kit für den unabhängigen Lokaljournalismus

Im Februar stimmen wir über das Massnahmenpaket für die Medien ab. Rechte behaupten, es führe zu Staatsmedien; Linke ärgern sich, dass ein Teil der Unterstützung an Grosskonzerne geht. Braucht es wirklich eine staatliche Medienförderung?

Als Textproben zur Bewerbung für ihren ersten Job als Journalistin hat Jana Avanzini die Notizen aus ihren Reisetagebüchern abgetippt und gebüschelt. So hat es für sie bei Zentralplus geklappt, so kann es gehen. Dass das Onlineportal Avanzini einstellte, lag wohl auch an ihrer sonstigen Berufs- und Lebenserfahrung. Doch trotzdem: Die Wege in den Journalismus sind verschlungen. Manchmal gelingt der Einstieg mit Reisenotizen.

Die glücklichsten Journalist:innen sind Menschen, die in anderen Berufen eben genau darunter leiden würden, dass sie immer in denselben Büros in denselben Abläufen feststecken. Sorry an alle Richter:innen, die schon unzählige Jahre früher wissen müssen, für welches Ziel sie büffeln: Anders als die dritte Gewalt, die Justiz, ist die vierte Gewalt, der Journalismus, ein Tummelfeld für viele, die sich nicht auf einer vorgespurten Bahn bewegen. Doch so gerne wir Journalist:innen uns in neue Themen und Leben knien, so wenig haben wir von den Vorteilen des Richter:innenlebens: Die Existenz von Jurist:innen ist gesichert, Richter:innen arbeiten beim Staat, sind integriert in Institutionen.

So alt wie der Schweizer Bundesstaat
Der Journalismus hingegen verhält sich gegenüber Institutionen aus Prinzip kritisch. Der geschriebene Journalismus ist traditionell ein privates Geschäft. Lange machten Medienunternehmen solide bis märchenhaft viel Geld mit Inseraten und Abos. Selbst in seinen rosigsten Zeiten wurde dieses Geschäft mit Rabatten versüsst: Die Medienförderung ist alt, sie ist nur ein Jahr jünger als der Bundesstaat. Als die verbilligte Zustellung von Zeitungen mit der frisch gegründeten Post beschlossen wurde – die sogenannte Posttaxenverbilligung, die es seit 1849 gibt –, war es noch nicht lange her, seit eidgenössische Truppen durch Schüpfheim und Meierskappel marschiert waren, bevor sie nach der Niederlage des Sonderbunds in Luzern plünderten. Sogar in dieser kochenden Stimmung waren die liberalen Sieger der Meinung, dass alle Zeitungen – selbst jene der verhassten Konservativen – unterstützt werden sollten. Information und Orientierung bei der Meinungsbildung gelten als Bereicherung der Demokratie.

Doch seit 20 Jahren steckt die Branche in einer Krise. Redaktionen werden abgebaut. Grosskonzerne wie die TX Group machen ihr Geld mit Ricardo.ch und halten sich den Tages-Anzeiger aus Prestigegründen. Bei CH Media verantworten und verfassen dieselben 45 Journalist:innen im Aarauer Industriequartier die überregionalen Beiträge für mehr als zwanzig Ableger:innen, darunter auch die Luzerner Zeitung, die Urner Zeitung, die Obwaldner Zeitung oder die Nidwaldner Zeitung. Einzig der Bote der Urschweiz ist unternehmerisch und redaktionell unabhängig – bezieht seine überregionalen Artikel jedoch auch von CH Media.

Schwierige Geschäftsmodelle von Online-Medien
Jana Avanzini, die heute als freie Journalistin in Luzern lebt, ist in Nidwalden aufgewachsen. «Vielleicht lese ich darum nicht gerne Zeitung», sagt sie. Der Zeitungsjournalismus in der Region decke seit Jahren dieselben Themen im immer gleichen Stil ab. Wieder mal reingeklatscht sei ihr das, als sie an einer Podiumsdiskussion zur «Ehe für alle» am Kollegium Stans teilnahm. «Extrem viele Schüler:innen haben megatolle, persönliche Statements abgegeben.» Die Schüler:innen hätten die Gegner:innen derart vorgeführt, es hätte gar keine Pro-Seite gebraucht. Doch der Zeitungsbericht las sich wie eine Wiederholung des Abstimmungsbüchleins: Die eine Seite habe dieses Argument vorgebracht, die andere das. «Wahrscheinlich wäre der Bericht gleich langweilig geblieben, wenn es während der Diskussion eine Explosion gegeben hätte.» Beim jungen Online-Satiremagazin Kultz, wo Avanzini bis vor kurzem als Co-Redaktionsleiterin wirkte, habe sie nicht nur der Journalismus, sondern auch die Bescheidenheit erfrischt: «Statt ein Drängen auf ewiges Wachstum war von Anfang an klar: So und so viele Mitglieder brauchen wir, damit es laufen kann. Wenn wir das haben, ist gut.» Anders als Medien, die wegen Trends und Wachstumszielen ihre Konzepte verwässern oder aufgeben, wolle Kultz bewusst in die Nische.

Viele neue Online-Medien suchen sich die Nische. Manche auch einfach, weil es nicht anders geht. Bislang ist eine kleine Minderheit der Bevölkerung bereit, für Online-Journalismus zu zahlen, Werbung lohnt sich nicht. Parallel dazu brechen die gedruckten Zeitungen weg. Vor acht Jahren begann Avanzini bei Zentralplus, seither ist die Auflage aller Bezahlzeitungen in der Schweiz um knapp 40 Prozent gesunken. Im Internet, wo News und Unterhaltung aus der Welt auf Nutzer:innen einströmen, findet man mehr Gratis-Inhalte, als ein Menschenleben aushält. Die Flut an Gratis-Content lässt manchmal vergessen, dass anglophone Insta-Influencer:innen nie über das Geschehen vor Ort erzählen – und dass manche Influencer:innen zwar reich werden, aber in Kauf nehmen, dass Facebook und Google das Werbegeschäft global uneinholbar dominieren.

«Das Lokale ist die Substanz der Schweiz»
Über 70 Zeitungen sind seit 2003 eingegangen. Ein Grossteil davon hatte sich dem lokalen Geschehen gewidmet. Viele haben eher herzige als demokratierelevante Titel, etwa der Rigi Anzeiger oder der Wolhuser Bote. «Das Lokale ist die Substanz der Schweiz. Darum ist Lokaljournalismus so wichtig», sagt Fabian Duss. 2003 berichtete Duss als Freelancer aus dem Nahen Osten für internationale Nachrichtenagenturen – heute ist er Co-Redaktionsleiter beim Freien Schweizer, der eigenständigen Lokalzeitung für Küssnacht. «Uns gibt es noch», sagt Fabian Duss, «und es wird uns noch eine Zeit geben. Letztendlich bin ich überzeugt, dass es in Küssnacht genauso Leute braucht, die Gerichtsentscheide auseinanderbeineln, wie überall sonst.»

 

Über 70 Zeitungen sind seit 2003 eingegangen. 

 

13 500 Menschen leben im Schwyzer Bezirk zwischen Zuger- und Vierwaldstättersee. Für diese ist es entscheidend, dass jemand Unabhängiges hinschaut und kritisch verfolgt, wie sich die Debatten um die Nutzungsplanrevision entwickelt. Alle, die nicht dort wohnen, finden es vielleicht aus Prinzip gut, dass es in Küssnacht eine Lokalzeitung gibt – aber es hat schlicht keine Bedeutung in ihrem Leben, wenn das Restaurant «Eichli» in Immensee neue Pächter:innen bekommt.

Duss glaubt an die Zukunft des unabhängigen Lokaljournalismus. Lokaljournalismus verlange dieselben Kompetenzen wie Berichterstattung aus dem Bundeshaus – und wenn man diese ausspiele, würden das auch die Leser:innen schätzen. Abonnent:innen hätten Anspruch auf mehr als bloss «Fotoreihen von jeder Hundsverlochete». Duss erzählt, wie er sich in die «sackkomplizierte» Nutzungsplanrevision reinkniet oder ein «Redaktionsgspändli» und er über das Öffentlichkeitsprinzip Druck gemacht haben, dass der Kanton Schwyz die Corona-Zahlen nach Gemeinden aufgeschlüsselt kommuniziert. Solche Arbeit habe einen Wert. «Manchmal muss ich Leuten im Dorf erklären, dass die Anforderungen beim Freien Schweizer nicht niedriger sind als bei der NZZ oder der Luzerner Zeitung und dass für alle die gleichen journalistischen Prinzipien gelten. Wir sind alle genauso qualifiziert und besuchen am MAZ beispielsweise Medienrechtskurse, denn wir müssen ohne grosse Rechtsabteilung zurechtkommen.»

 

«Manchmal muss ich Leuten im Dorf erklären, dass die Anforderungen beim Freien Schweizer nicht niedriger sind als bei der NZZ oder der Luzerner Zeitung und dass für alle die gleichen journalistischen Prinzipien gelten.»

Was verändert das Medienpaket in der Zentralschweiz?
Im Februar stimmen wir einerseits darüber ab, ob die Rabatte fürs Verschicken von Zeitungen erhöht werden, aber auch, ob Ausbildungsorte wie etwa das MAZ Luzern dauerhaft öffentliche Gelder erhalten. Davon profitieren dann hoffentlich auch die Journalist:innen, die sich dort ausbilden lassen. Momentan kostet die Diplomausbildung Journalismus gegen 30 000 Franken – und nicht immer übernehmen Arbeitgeber:innen einen Teil der Kosten.

Es geht um maximal 151 Millionen Franken pro Jahr, die zusätzlich zur Unterstützung der Medienbranche eingesetzt werden sollen. Die Förderung ist auf sieben Jahre beschränkt. Zum Massnahmenpaket, das am 13. Februar zur Abstimmung kommt, gehört weiter:

– Erstmals öffentliche Unterstützung für Onlinemedien – diese müssen mindestens einen Teil ihrer Einnahmen mit einem Member- oder Abomodell erzielen. In der Zentralschweiz würden wohl Zentralplus, Kultz, aber natürlich auch die Ableger von CH Media profitieren. Immerhin bekommen kleine Medien anteilsmässig mehr: Je grösser das Medium, desto kleiner die Unterstützung pro Online-Abo.

– Lokalradios und -fernsehsender, darunter auch Radio 3fach, sollen mehr öffentliche Gelder erhalten.

– Auch Magazine und Mitgliederheftli von Vereinen und Verbänden (nach Behördendefinition gehört auch 041 in diese Kategorie) erhalten schon jetzt Rabatte von der Post. Dieser Rabatt soll erhöht werden.

– Erstmals soll öffentliches Geld in den Presserat fliessen. Im Presserat entscheidet ein Gremium aus Journalist:innen, Verbandsvertreter:innen und Leser:innen bisher fast komplett ehrenamtlich, welche Berichte gegen die Regeln der journalistischen Berufsethik verstossen.

– Mehr Geld für Agenturjournalismus. Keystone-SDA, die letzte überlebende Nachrichtenagentur, die auch in Luzern ein Büro hat, erhält seit wenigen Jahren schon Geld für die Agenturberichte aus den Regionen. Aller Journalismus will Orientierung verschaffen, doch ohne Agenturjournalismus fehlte vielen Journalist:innen Orientierung: In jeder Redaktion schafft der SDA-Ticker Übersicht, was gerade wo passiert. Oft führt das auch zu Ideen, wohin man ein:e Reporter:in schicken könnte.

Warum Ja stimmen – trotz berechtigter Kritik
Von rechts heisst es, das Paket führe zu «Staatsmedien». Das ist Unsinn, denn die Gelder sind nicht an Inhalte geknüpft. Die Rabatte beim Verschicken sind so alt wie dieser Staat – das Internet und damit die Monopole internationaler Techkonzerne hat 1849 halt niemand vorhergesehen. Doch auch Linke stehen dem Paket kritisch gegenüber: Keystone-SDA etwa hat in den letzten fünf Jahren Stellen zusammengestrichen und Aktionär:innen ausbezahlt – und nun, wo die Agentur geschröpft ist, soll sie mit öffentlichen Geldern gestützt werden? Ähnlich kritisch sehen manche die Erhöhung der Rabatte beim Verschicken: Bisher erhielten diese bloss Zeitungen mit einer Auflage von maximal ein paar Zehntausend. Künftig wird auch der Blick subventioniert.

In der Zentralschweiz profitiert CH Media aber ohnehin bereits von den Rabatten: So erhält beispielsweise die Obwaldner Zeitung diese Rabatte – weil die Auflage tief genug ist. Dass die ersten 15 Seiten vom St. Galler Tagblatt bis zur bz Basel praktisch identisch sind, kümmert niemanden. Ebenso wenig fällt ins Gewicht, dass sich bloss drei, vier Seiten pro Ausgabe von der Luzerner Zeitung unterscheiden. Ist es katastrophal und irrsinnig, dass man die Unterschiede zwischen Obwaldner und Nidwaldner Zeitung wie in einem Wimmelbild suchen muss? Na klar.

Nur leider ist die Alternative zu CH Media und Keystone-SDA eine Berichterstattungswüste. Und wenn es keine andere Zeitung mehr gibt, erscheinen mancherorts nur noch die Blätter, die sich ohnehin nicht finanziell, sondern politisch lohnen sollen: die Gratis-Anzeiger wie etwa die Luzerner Rundschau oder die Zuger Woche, im Besitz der Familie Blocher, mit denen fast die ganze Deutschschweiz kostenlos eingedeckt wird.


Text: Benjamin von Wyl
Illustration: Gianna Rovere

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