Jedem Ort seine Antworten?

Auf die Eröffnung der neuen Dauerausstellung im Richard Wagner Museum folgte eine kontroverse Debatte. Die Kritik: Wagners Antisemitismus und dessen Folgen werden nicht aufgearbeitet. Im Gespräch erzählen die Museumsleiterin Monika Sigrist und Letizia Ineichen, Leiterin Kultur und Sport der Stadt Luzern, welche Schlüsse sie aus der Debatte ziehen.

Monika Sigrist und Letizia Ineichen, Sie haben ein bewegtes Jahr hinter sich. Die neue Dauerausstellung, die im April 2023 eröffnet wurde, ist medial kritisiert worden. Beiträge auf SRF, in der «Luzerner Zeitung», aber auch in diesem Magazin liessen verlauten, dass Wagners Antisemitismus zu wenig im Fokus stehe, insbesondere im Hinblick auf seine Zeit in Luzern. Bevor wir auf die Kritik zu sprechen kommen, möchten wir in das Gespräch mit Ihren Gedanken starten: Was finden Sie an der aktuellen Ausstellung gelungen?

MS: Für uns war es toll, dass wir die Dauerausstellung erneuern konnten. Nach 40 Jahren war das ein grosser Schritt für das Haus. Obwohl unser Budget nicht sehr gross war, gelang es uns, viel zu verändern. Das Ziel des neuen Ausstellungskonzepts bestand darin, zurückzugehen in die Zeit von Richard Wagner, wie er auf Tribschen um 1870 gelebt hat. Die Recherche stützte sich auf Briefe, Autografen und andere Dokumente, anhand deren wir rekonstruieren konnten, wie die Räumlichkeiten gestaltet waren. So ist es möglich, heute hier zu sitzen, wie wir es gerade tun, und die authentische Atmosphäre zu erleben.

Warum ist es wichtig, die historische Atmosphäre wiederherzustellen, das Eintauchen in «Wagners Welt», wie es im Ausstellungstitel heisst?

MS: Wir kennen unsere typischen Besuchenden. Sie kommen aus aller Welt und mit einer gewissen Erwartung. Man kann viel über Richard Wagner lesen, aber der authentische Ort lässt sich nur hier erleben. Diese Besuchenden möchten wir mit der besonderen Atmosphäre abholen.

Letizia Ineichen, wie ordnen Sie als Vertreterin der Stadt, der das Museum gehört, diesen Aspekt ein?

LI: Gerade an einem so geschichtsträchtigen Ort, in dem künstlerisch gewirkt wurde, ist es wichtig, dass die Atmosphäre von damals erlebt werden kann. Ein wichtiger Punkt vor dem Umbau war die Frage, was wir mit den begrenzten Mitteln, die wir zur Verfügung hatten, umsetzen können. Die Sanierung und die Gestaltung der neuen Dauerausstellung waren erste Schritte. Jetzt schauen wir, wie die Ausstellung wirkt und was wir weiterentwickeln können.

Dieses immersive Erlebnis ist kritisiert worden. Im Juni 2023 wurde das Postulat «Richard Wagner Museum: Die Person aufarbeiten, nicht abfeiern» im Luzerner Stadtparlament eingereicht. Das Postulat thematisiert, dass ein Museum mit Bildungs- und Vermittlungsanspruch die Aufgabe hat, auch über Bruchlinien und Konflikte zu sprechen und das historische Unrecht kritisch zu reflektieren. Können Sie das nachvollziehen?

LI: Es hat mich nicht überrascht, dass diese kritische Nachfrage kommt. Wir sehen das Postulat als Chance, genauer hinzuschauen und zu überlegen, wie die Ausrichtung des Museums langfristig aussehen kann beziehungsweise welche Themen ausgehend von der «vielschichtigen» Person Richard Wagner wichtig aufzugreifen sind. Wie gehen wir Wagners Antisemitismus an? Wie die Rolle der Stadt? Mit dem Gefäss der Sonderausstellung, die alle zwei Jahre erneuert wird, hatten wir von Anfang an vor, diese Fragen aufzugreifen.

Wenn Sie von der Kritik nicht überrascht waren: Wieso haben Sie sich nicht dazu entschieden, die «kritischen Fragen» von Anfang an mitzudenken?

LI: Wir haben Wagners Antisemitismus in einem eigenen Kapitel im neuen Audioguide, der durch die Ausstellung führt, aufgegriffen. Die Tiefe, die das Thema verlangt, erfordert jedoch entsprechende finanzielle und personelle Ressourcen, die wir während der Sanierung nicht hatten. Deshalb haben wir uns entschieden, den Schwerpunkt vorerst auf den Lebensweg von Richard Wagner und die Neugestaltung der Räume zu legen.

MS: Es ging um eine ausgewogene Erzählung seiner Geschichte in Tribschen. Ein einzelnes Thema zu betonen, wäre der Sache aus unserer Sicht nicht gerecht geworden.

Es war also ein Grundsatzentscheid. Sie haben sich entschieden, die Renovation vor Ort mehr zu gewichten als eine dezidierte Aufarbeitung von Wagners Antisemitismus in Luzern.

LI: Im Fokus standen zunächst der grosse Sanierungsbedarf des Hauses und die denkmalpflegerischen Massnahmen. In diesem Zusammenhang nutzten wir die Gelegenheit, diese Sanierungsphase mit entsprechenden Funden in einer Ausstellung im Obergeschoss darzulegen und in einem Audioguide erste Stationen von Wagners Person aufzugreifen. Im Wissen darum, dass in einer nächsten Phase eine fundierte Vermittlung von Wagners Antisemitismus ansteht.

MS: Die Atmosphäre und die Erzählung von Wagners Geschichte in Tribschen standen für uns im Vordergrund. Es war noch nicht der Moment, uns mit Wagners Antisemitismus auseinanderzusetzen, mit dieser wirklich schwierigen Thematik, dazu braucht es Fachleute. Um aufs Postulat zurückzukommen: Ich sehe das genauso wie Letizia, es ist eine Chance für uns.

Momentan findet eine wissenschaftliche Aufarbeitung von «Richard Wagners Zeit in Luzern» statt. Dabei sollen die Geschichte des Hauses, die Person Richard Wagner und die Rolle der Stadt Luzern durch eine unabhängige Projektgruppe beleuchtet werden. Was ist der aktuelle Stand?

LI: Das Postulat wurde im November 2023 verabschiedet. Das heisst, die Stadt Luzern arbeitet aktuell einen Projektbeschrieb aus, in dem die thematische Eingrenzung und die genaue Fragestellung festgehalten und entschieden wird, an wen der Forschungsauftrag geht. Das Ziel ist, dass wir Mitte 2024 damit starten können, sodass 2025 erste Ergebnisse vorliegen.

MS: Wir schauen, was wir 2025 schon in Angriff nehmen können, ich möchte mich diesbezüglich noch nicht aus dem Fenster lehnen. Fest steht, dass alle Forschungsergebnisse 2026 da sind und wir sie in eine Sonderausstellung transferieren.

Schweben Ihnen bereits Personen vor, die für die Projektgruppe spannend sein könnten?

LI: Unser Anliegen ist, dass die Gruppe breit zusammengesetzt ist, mit einem kritischen Blick auf die Thematik. Wie die Zusammenstellung der Projektgruppe sein wird, ist Teil unserer aktuell laufenden Diskussion.

Werden Personen aus der Bevölkerung mit unterschiedlichen Bezügen zum historischen Unrecht das Museum als Erinnerungsort mitgestalten können?

MS: Das Haus gehört der Stadt Luzern, es gehört uns allen und es sollen alle partizipieren können. Wir sind offen für verschiedene Blickwinkel.

LI: Das Museum besitzt keine klassische Laufkundschaft, es sind in erster Linie Klassik-Liebhaberinnen und -Liebhaber, die hierhin pilgern – und deren Bedürfnisse wir mittlerweile kennen. Um die Bevölkerung vor Ort ins Haus zu bringen, sind andere Vermittlungszugänge nötig.

Wie könnte die Teilhabe am Haus konkret aussehen?

MS: Ich bin grundsätzlich offen, allerdings müssen wir entsprechende Gefässe erst entwickeln.

LI: Es ist interessant, mit Personen aus den jeweiligen Zielgruppen zusammenzuarbeiten und partizipative Formate zu entwickeln. Auch davon soll unser Museumskonzept leben. Nicht, dass wir etwas generieren, das den Bedürfnissen der Bevölkerung gar nicht entspricht.

Die Forschungsergebnisse werden 2026 in der Sonderausstellung im oberen Stock präsentiert. Das heisst, es gibt eine Trennung zwischen einem immersiven und einem kontextualisierenden Teil von Wagners Zeit in Luzern. Ist diese räumliche Trennung sinnvoll?

MS: Das habe ich bisher nicht so wahrgenommen. Sie meinen, im unteren Stock ist das Idyll und im oberen ist das Problem?

Genau, die räumliche Trennung suggeriert, dass sich Wagners Antisemitismus von seinem Leben und Werk loslösen lässt, als handle es sich dabei um ein isoliertes Kapitel. Die Frage ist, wie sein Antisemitismus gesamtheitlicher gedacht werden kann, als Teil seines künstlerischen, ideologischen und politischen Schaffens.

MS: Wagners Antisemitismus ist ja in der aktuellen Ausstellung bereits integriert, das Pamphlet «Das Judenthum in der Musik» ist in der Vitrine im ersten Ausstellungsraum ausgestellt, im idyllischen Teil sozusagen, und das Thema wird im Audioguide thematisiert. Die Forschungsergebnisse sind sicher entscheidend für die weiteren Schritte.

LI: Es geht ja um die Durchlässigkeit. Geschichte darf und soll man nicht verheimlichen, sondern in ihrem jeweiligen Kontext aufarbeiten.

Wie verstehen Sie Ihre Rolle in der Debatte rund um Wagners Zeit in Luzern?

LI: Seitens der Stadt geht es darum, in aller Offenheit und Transparenz das Leben von Richard Wagner darzustellen: seine Person mit allen Facetten, die künstlerischen, die wegweisend für die Musikgeschichte sind, aber auch die kritischen, seine Haltung und seine Werte. Es geht uns aber auch um die Rolle der Stadt Luzern. Wieso ist es diesbezüglich noch nicht zur vertieften Auseinandersetzung gekommen, die man sich immer gewünscht hat? Das erachte ich als spannend und als einen Auftrag an das Haus.

Hat die Stadt Luzern den Anspruch, die Debatte zukünftig stärker mitzugestalten? Dies etwa im Hinblick darauf, dass sich die Stadt als Musikstadt profilieren möchte.

LI: Grundsätzlich ja, vor allem dort, wo es die Stadt betrifft und wo es darum geht, eine Aufarbeitung mitzugestalten. Ich finde, wir haben als Stadt diesbezüglich eine grosse Verantwortung, politisch wie kulturell.

Monika Sigrist, wie sehen Sie Ihre Rolle als Museumsleiterin?

MS: Das Museum gibt es seit über 90 Jahren. 1931 hat die Stadt Luzern das Haus von der Familie Am Rhyn erworben, mit dem Ziel, Luzern touristisch attraktiver zu gestalten. Auf dem Platz vor dem Haus wurden die Internationalen Musikfestwochen mit einem Konzert eröffnet, das von Arturo Toscanini dirigiert wurde. Das war 1938, eine schwierige Zeit. Man kann sagen, dass hier der Ursprungsort der Musikstadt Luzern ist. Es geht also um ein geschichtsträchtiges Haus, das mehr zu erzählen hat als von den sechs Jahren, die Wagner hier verbracht hat. Wir verstehen diesen Ort als kleineren Kulturbetrieb, der offen sein will, an dem schwierige Diskussionen genauso wie schöne Begegnungen stattfinden können. Einen Ort der Kultur.

Ihre Rolle als Museumsleiterin besteht also darin, den Ort zu bewahren und zugänglich zu machen?

MS: Als ich vor drei Jahren meine Position übernahm, war es mir ein Anliegen, die Türen weiter zu öffnen und frischen Wind ins Haus zu bringen. Die Neugestaltung der Dauerausstellung hat bereits viel bewirkt. Nun geht es darum, neben den Bedürfnissen der Touristen aus aller Welt auch Formate für ein lokales Publikum anzubieten.

Was geschieht in den rund zwei Jahren bis zur neuen Sonderausstellung, um auf die Forderungen des Postulats einzugehen?

MS: Wir sind gerade dabei, das diesjährige Programm zu konzipieren. Das Thema wird sein: «Wagners Weltanschauung». Antisemitismus wird darin ein Thema sein, aber es wird auch um seine Faszination für den Buddhismus und sein Verhältnis zum Christentum gehen. Im Jahr 2025 wird der Fokus dann stärker auf Wagners Antisemitismus liegen.

Welche Angebote wird es geben, die sich dezidiert mit Wagners Antisemitismus auseinandersetzen?

MS: Es wird zwei öffentliche Führungen zu Wagners Antisemitismus geben. Ausserdem diskutieren wir, wie wir in der aktuellen Dauerausstellung dem Thema Antisemitismus eine breitere Plattform geben können. Bereits zum diesjährigen Saisonstart im April wird das Pamphlet «Das Judenthum in der Musik» so präsentiert, dass es niemand mehr übersehen kann.

LI: Neben Themenführungen können es ja auch Vorträge oder Referate sein, die den Diskurs anregen. Für das Jahr 2025 kann ich mir zum Beispiel vorstellen, dass erste Forschungsergebnisse in den Ausstellungsräumen aufgegriffen werden, dass man nicht bis 2026 warten muss. Der politische Auftrag an uns beinhaltet, zeitnah erste Resultate zu präsentieren.

Wäre es denkbar, dass diese ersten Resultate mit einem Einblick in die Forschungsarbeit verbunden werden, um den Prozess transparent zu machen und zu vermitteln?

LI: Das ist ein spannender Hinweis. In dieser Tiefe haben wir es noch nicht durchdacht, weil wir uns aktuell noch in einem politisch formalen Prozess befinden. Grundsätzlich wäre eine Zwischenphase denkbar, in der man die Forschungsfragen transparent macht und sich überlegt, welche Perspektiven dafür relevant sein könnten.

MS: Es ist wichtig zu zeigen, was im Prozess passiert. Ich bin gespannt, ob das tatsächlich Interesse weckt.

Stehen Sie in Kontakt mit anderen Institutionen, zum Beispiel mit dem Richard Wagner Museum in Bayreuth oder dem Deutschen Historischen Museum in Berlin?

MS: Ja, natürlich. Wir sind in Kontakt mit den Richard-Wagner-Stätten in Graupa und diskutieren die Möglichkeit einer Kooperation. Einen intensiveren Kontakt zu weiteren Institutionen könnte man im Rahmen der Aufarbeitung in Erwägung ziehen. Jede Institution schlägt sich mit diesen Fragen herum. Ich denke, dass jede Wagner-Stätte ihre eigenen Antworten finden muss. Klar, das Thema ist dasselbe, aber die Luzernerinnen und Luzerner sehen es wieder anders als die Wagner-Interessierten in Deutschland.


Die Dauerausstellung «Wagners Welt» im Richard Wagner Museum wurde im April 2023 eröffnet und mit einem Sonderkredit von 670 000 Franken finanziert. Auf die Eröffnung folgte die Kritik, dass Wagners Antisemitismus und seine Folgen zu wenig im Fokus stehen. Diesen Themenkomplex soll die Stadt Luzern, der das Museum gehört, nun in einem Forschungsauftrag aufarbeiten. Der Forschungsauftrag, der mit 50 000 bis 70 000 Franken dotiert ist, legt den Schwerpunkt auf Wagners Zeit in Luzern (1866–1872). In dieser Zeit überarbeitete und verbreitete er sein 1850 verfasstes Traktat «Das Judenthum in der Musik», das zu einem zentralen Text des europäischen Antisemitismus wurde.

Die Forschungsergebnisse werden 2026 in einer Sonderausstellung mit dem Arbeitstitel «(Wagners) Antisemitismus im 19. Jahrhundert und seine Folgen» präsentiert.


 

041 – Das Kulturmagazin
März 03/2024

Interview: Giulia Bernardi, Robyn Muffler
Bilder: Kim da Motta

Giulia Bernardi und Robyn Muffler sind freie Autorinnen und Co-Redaktionsleiterinnen des 041 – Das Kulturmagazin.

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