
04.03.25
Kunst
Pinselstriche im Pingpong
In ihrer Malerei befragen Lipp&Leuthold die Vorstellungen von Autorschaft und erkunden, wie gemeinsam Werke entstehen können. Das tun sie mit grosser Freude an Sinn, Unsinn und Tiefsinn.
Franziska Nyffenegger (Text) und Noëlle Guidon (Bilder)
Das Atelier von Lipp&Leuthold befindet sich in einem alten Schuppen auf dem SBB-Güterareal im Tribschenquartier und entspricht genau meiner Vorstellung von einem Künstlerarbeitsplatz: überall riesige Leinwände, überall Farbe, ein Esstisch, der erst abgeräumt werden muss, und vor dem Fenster ein voller Aschenbecher. «Komm ins Atelier», hatte Reto Leuthold gesagt, als ich vor ein paar Wochen um ein Gespräch bat. «Solange wir noch eines haben.» Seit achtzehn Jahren arbeiten er und Paul Lipp hier, im März 2026 müssen sie raus. Warum und weshalb? Die beiden winken ab. Ein Parkplatz soll entstehen, die Holzhütten passen nicht mehr in die gentrifizierte Gegend. Dabei sei doch bekannt und zur Genüge erforscht, wie wichtig eine lebendige Kunst- und Kulturszene für eine Stadt wie Luzern sei, wie wichtig Freiräume und Brachen für den Innovationsgeist, den viel beschworenen, den dann doch niemand so wirklich haben will.
Kunst und Kontingenz
«Lass uns über Kunst reden!», sagt der eine. «Die Stadtentwicklung kann warten.» Gerne, antworte ich, doch von Kunst verstehe ich nichts. «Wir auch nicht», sagt der andere, und beide: «Dann reden wir ja vom Gleichen.» Und so springen wir die nächsten zwei Stunden von einem Lacher zum nächsten. Humor sei der Kern ihrer Arbeit, steht in allen Texten über das Künstlerduo: Humor als Mittel der Subversion und als Form der Resilienz – nicht nur gegen unerfreuliche Kündigungen, aber auch. Ob er immer da sei, der Humor, frage ich, oder ob es auch Tage gebe ohne. Nein, also ja, also schon, also eigentlich sei er immer da, der Humor, ein treuer Begleiter, ständig präsent, im Dialog und in der gemeinsamen Arbeit. «Wir beschäftigen uns seriös mit dem, was wir machen», sagt Reto, und Paul ergänzt, dass das Spiel mit Sinn und Unsinn auf den richtigen Zeitpunkt und die richtige Balance angewiesen sei. «Dann funktioniert es, und das ist, was wir suchen.»

Ich habe schon bei der Vorbereitung unseres Gesprächs viel gelacht, beim Blättern in der grossformatigen Monografie «I Licked the Yellow Suit of the Sun», die 2021 anlässlich einer Ausstellung im Kunstmuseum Luzern und dank dem Publikationspreis der Stadt erschienen ist, und beim Scrollen auf der Website der beiden. Die Werke von Lipp&Leuthold heissen «Safari auf Malmö», «Träne des Intellekts», «Good Mood in a Bad Shape», «Ihr habt den Wecker, wir haben die Zeit», «Seltene Himmel» oder «Langeweile über dem Sofa». Die Titel ergänzen die meist abstrakten, mit expressionistischem Gestus gemalten Bilder kongenial. Einfälle und Beobachtungen halten Lipp&Leuthold in einer Liste fest, die sie bei Bedarf konsultieren. Seltener, eher bei installativen Arbeiten, gehen sie von einem bereits bestehenden Titel aus. Meist aber sei im Prozess einfach plötzlich klar, wie ein Bild heissen müsse.
Der Prozess: das zweite Thema, das in jedem Text über Lipp&Leuthold vorkommt. Was heisst es, zu zweit zu malen? Wie geht das? Und warum überhaupt? Ist das Duo in der bildenden Kunst trotz einer wachsenden Zahl von Kollektiven doch immer noch die Ausnahme, das individuelle Arbeiten nach wie vor die Regel. «Zu zweit macht alles mehr Spass», sagen die beiden. «Und es geht schneller.» Wer alleine vor der Leinwand steht, steht auch mit seinen Fragen alleine da. Antworten zu finden und Entscheidungen zu fällen, braucht Zeit, und zudem ist es im Duo einfacher, ein Risiko einzugehen, etwas zu wagen. «Alleine traust du dich vielleicht nicht – noch nicht –, und dann kommt der andere, wie ein Querschlag, und gibt den entscheidenden Impuls.»
Als «doppelte Kontingenz» bezeichnet der Kunstkritiker Michel Rebosura das Verfahren von Lipp&Leuthold: Das Ergebnis ist von den Handlungen beider abhängig, und doch weiss der eine nie genau, wie der andere reagieren und weiterarbeiten wird. Vielleicht übermalt er gerade eine Lieblingslinie? Alles könnte auch anders sein; erst der Dialog begründet, warum es so ist. Zu fragen sei weniger, warum Künstler:innen so zusammenarbeiten, sondern vielmehr, warum nicht mehr Künstler:innen das tun.
Kollaboration und Knete
Das fragen sich auch Lipp&Leuthold. Sie sind seit über zwanzig Jahren als Duo unterwegs. Erst setzten sie vor allem installative Werke gemeinsam um, später kam die Malerei dazu. Das grosse Format bietet sich dafür an: Daran lässt sich gut gleichzeitig arbeiten. Auf grossen Formaten führen zunächst unzusammenhängende Teile oft zu Überraschungen. Gängige Harmonien werden brüchig, es entstehen neue Kompositionen. Kleinere Formate bearbeiten die beiden im Pingpong-Verfahren. Wer welchen Strich gemacht, welche Farbe gewählt habe, das wüssten sie im Nachhinein nicht mehr. Es spielt auch keine Rolle, weil es nicht um ein Ego geht (oder um zwei), sondern um einen Prozess, um das Werk.
«Alleine traust du dich vielleicht nicht – noch nicht –, und dann kommt der andere, wie ein Querschlag, und gibt den entscheidenden Impuls.»
Kollaboration ist für Lipp&Leuthold allerdings mehr als eine künstlerische Methode. Sie engagieren sich im Verein Ahoi, der einen Kunstraum in der Luzerner Altstadt betreibt, und im Team des Kunstfestivals Kraut, in der städtischen Kunstkommission (Reto Leuthold) und in der Kulturkommission der Region Luzern West (Paul Lipp). Freie Zeit investieren sie lieber in kuratorische und vermittelnde Tätigkeiten als in das Schreiben von Konzepten für Kunst-am-Bau-Projekte. Es sei wichtig, sich einzubringen, teilzunehmen und Teil zu sein. Nur so passiere etwas in einer Stadt wie Luzern, wo vieles von der Eigeninitiative der Kulturschaffenden abhänge. Nur so könne der Kampf für kommerzfreie Kulturräume, für Offspaces, gelingen, und der ist für beide eine Herzensangelegenheit.
Aufgewachsen sind sie auf dem Land – Leuthold im Oberhasli, Lipp in Werthenstein –, haben zunächst eine Lehre absolviert – Lipp als Möbelschreiner, Leuthold als Typograf – und über die Musik zur Kunst gefunden. Leuthold gestaltet nach wie vor Flyer und Plattencover für ein befreundetes Label: eine gute Abwechslung zur Arbeit im Atelier und in der Druckwerkstatt der Kunsthochschule. Lipp verdient sein Grundeinkommen als Szenograf im Museum Burg Zug.

Leben mit der Kunst, das gehe gut, sehr gut sogar, Leben von der Kunst eher weniger. «Was wir hier machen, liegt knapp über der Nullrunde. Miete und Material sind gedeckt, Beinfreiheit haben wir dank der festen Anstellungen.» Wichtig ist ihnen, Ausstellungen machen zu können wie im Benzeholz: ortsspezifisch, im engen Austausch mit der Kuratorin, ohne Erfolgsdruck. «Doch, doch, Druck ist schon da: Ausstellen heisst ja immer auch, dass sich eine Behauptung bewähren muss, ausserhalb des Ateliers.»
Behauptungen haben sie einige, zum Beispiel zur Linie, mit der sie sich gerade intensiv beschäftigen. In «Vital Experts», einer Einzelausstellung in der Luzerner Impulse Gallery, mit der sie das neue Jahr eröffnet haben, stehen Linien im Zentrum: als malerisches Mittel im Wechsel zwischen Chaos und Ordnung. Und was wird im Benzeholz zu sehen sein? «Etwas Grosses!», lacht der eine und der andere sagt: «Lass dich überraschen!»
Bevor ich mich verabschiede, frage ich nach der Schreibweise von Lipp&Leuthold: mit oder ohne Leerschlag? «Ohne», sagt Paul. «Allenfalls ein Achtelgeviert», ergänzt Reto. «Sobald es um Buchstaben geht, wird er kleinlich», frotzelt Paul. «Wenn es um Büroarbeit geht, ist er nicht so.»
Die Ausstellung «The Only Way to Feed Me Fruits Is a Cake» von Lipp&Leuthold ist ab dem 7. März im Benzeholz in Meggen zu sehen.
Für diesen Beitrag haben mitgewirkt:

Franziska Nyffenegger
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