01.01.24
Musik
Und immer die Neugier
Wie und warum Musik machen in einer Zeit, in der vieles hoffnungslos erscheint? Es helfe, etwas selbst zu bauen, um sich daran festzuhalten, sagt Manuel Troller.
Alice Galizia (Text) und Anne Morgenstern (Bilder)
«Es kann beim Spielen auch ganz grundsätzlich darum gehen, sich einen Raum zu erkämpfen. Sich zu sagen, ich darf das jetzt.» Manuel Troller trinkt doppelten Espresso in einem Café in Kleinbasel, vor dem Fenster ein schöner Regen. Kürzlich hat ihm die Stadt Luzern den Anerkennungspreis verliehen, im März erscheint sein neues Soloalbum «Halcyon Future». Soweit die aktuellsten Meilensteine, sonderbar hineingepflanzt in eine eigentlich ganz und gar uneindeutige Zeit.
«Halcyon Future», ein doppelbödiger Titel, weil sich das englische «halcyon» eigentlich ausschliesslich auf die Vergangenheit bezieht, auf ein verflossenes gutes Damals. In die Zukunft verkehrt schwingt hier auch die Nostalgie nach einer Zeit mit, als man sich noch ernsthaft an Utopien orientieren mochte, an einen Glauben an ein besseres Morgen. Vielleicht, so möchte man leise hoffen, ist gar nicht alles verloren, solange es diese Vorstellung noch gibt? «Halcyon Future» sei ein hoffnungsvolles Album, das aber nicht in einer hoffnungsvollen Zeit entstanden sei, sagt Troller. Düster innen wie aussen – und die Arbeit am Album etwas Selbstgebautes, an dem er sich festhalten konnte. So trug ihn diese Musik durch eine finstere Phase und am Ende kam ein vielschichtiges Ding heraus, ein Halbglaube an eine bessere Zukunft oder immerhin an etwas anderes.
Das Album besteht aus drei Tracks, zwischen «Halcyon Future I» und «Halcyon Future II» liegt «DNA», eine Meditation inmitten zweier aufgeregterer Stücke. Hier hat all die Schwere Platz und die Trauer, wie die Gitarre sanft gezupft und zögerlich ihre Runden dreht. Trotzdem ist etwas Tröstliches in diesem stillen, warmen Stück; und es ist zwischen den anderen beiden auch ein Beweis dafür, dass eine Pause alles andere als nichts ist.
«Bei vielem verstehe ich selbst nicht, was da alles passiert ist; ich könnte es nicht reproduzieren. Solche Momente versuche ich einzufangen.»
Dem Unvorhergesehenen Raum geben
Ein wenig ist es wohl den Titeln geschuldet, auf jeden Fall rufen diese Tracks mit ihren sorgfältig übereinandergeschichteten Strukturen trotz des ganz und gar heutigen Klangs Assoziationen an eine in den 1960er- oder 1970er-Jahren entworfene Utopie hervor, technikverliebt und metallisch mattglänzend, hell, wo immer es geht. Doch drängt wie dort auch hier überall das Organische dazwischen, eine Wärme, die trotz all der so einwandfrei funktionieren wollenden Technik nicht wegzukriegen ist. Über die Gitarre sagt Manuel Troller: «Manchmal nervt es mich, weil ich wie in der elektronischen Musik alle Frequenzen von ganz oben bis ganz unten präzis kontrollieren möchte. Das geht mit diesem Instrument einfach nicht.» Umgekehrt gefalle es ihm, dass die sinnliche Verbindung immer bleibe. «Man macht etwas mit dem Körper.» Alle Fehler des menschlichen Körpers als Teil des Betriebs, des Musikmachens; etwas vom Berührendsten, findet Troller, auch bei Konzerten. Inklusive des dadurch immer vorhandenen Risikos, dass auf einmal alles abfährt, in die Hose geht. «Dieses Risiko wird heute oft auf ein Minimum reduziert, sogar im Avantgarde-Bereich fällt mir das auf. Es sind dann zwar wahnsinnig gut klingende Konzerte, aber das Potenzial dieser magischen Momente, wenn etwas zum allerersten Mal passiert – das geht ein bisschen verloren.»
Wer dem Unvorhergesehenen Raum gibt, kann sich auch mal selbst an der Nase herumführen: Die Stücke hat Troller nicht komponiert, er hat nur eine Struktur gelegt, in der er spielen wollte und auf der er dann improvisierte. Am Ende stellte sich etwa die Skizze für «DNA», daheim in der Stube aufgenommen, als viel berührender, vibrierender heraus als die Aufnahme im Studio. Über «Halcyon Future I» sagt er: «Bei vielem verstehe ich selbst nicht, was da alles passiert ist; ich könnte es nicht reproduzieren. Solche Momente versuche ich einzufangen.»
Ausfransend an allen Ecken und Enden
Nach dem Studium konnte Manuel Troller bald von Auftritten leben, aber gross in der Öffentlichkeit stehen, das wollte er nie. Einfach immer nur spielen, so viel es geht. Seit Jahren tut er das längst nicht nur solo, sondern ist in verschiedenen Formationen unterwegs: früh mit Sophie Hunger auf grossen Bühnen, früher noch und bis heute mit Schnellertollermeier zusammen mit David Meier und Andi Schnellmann, diesem Trio am experimentellen Rand von Jazz, Pop, Rock, viel improvisiert, präzis verdrahtet, trotzdem ausfransend an allen Ecken und Enden; aktuell etwa auch mit der Experimentalgruppe Baumschule, zusammen mit Raphael Loher und Julian Sartorius.
Siebzehn Jahre Schnellertollermeier, gerade mal fünf Alben, dafür viele, viele Konzerte, immer in derselben Zusammensetzung. Eine richtige Pause nahm sich die Band in all der Zeit nie. «Ich habe mich nie gefragt, wo es durchgehen soll. Es war einfach klar: Ich will Musik machen, vom Spielen leben.» Von der Musik leben und wie das auch in Zukunft funktionieren kann, ist etwas, das Troller derzeit beschäftigt. Beim Touren bleibe ihm oft nur wenig Zeit für kreative Arbeit, also wirklich in der Musik zu sein. «Ich vermisse es dann, genügend Zeit zu haben für das Experimentieren und Tüfteln. Besonders das Suchen, das noch gar keine Richtung hat.»
Trotz offener Fragen scheint einiges doch recht klar. Ganz egal, was sonst noch ist – jene Stunden am Tag, in denen er sich mit Musik beschäftige, seien oft die besten, sagt Troller. Das war für ihn schon als Kind und als Jugendlicher so, und er meint damit nicht nur das Selberspielen, sondern auch das Hören. Einfach immer alles Geld für Musik ausgeben: So hat er sich mit sieben Jahren die erste CD gekauft, ausgesucht im Manor gemeinsam mit dem Grossvater. Metallica für 30 Franken. Alles aufsaugen, die alten Soulsachen der Mutter, Etta James, Bill Withers, Stevie Wonder, immer noch eine Herzensmusik; später viel von dem, was der ältere Cousin hörte, vor allem Metal, Punk, Hip-Hop. «Bis heute ist es das schönste Glück, wenn ich etwas für mich Neues finde, das ich noch nicht verstehe. Seit einiger Zeit etwa Undergroundrap aus den Bahamas oder brasilianische Popmusik aus den Sechzigern und frühen Siebzigern. Wie kreativ das war, unglaublich.» Im Plattenladen in der Luzerner Innenstadt lag jeweils ein Stapel mit fünfzehn, zwanzig CDs parat für ihn, die er alle der Reihe nach durchhörte und dann eine einzige auswählte. Manchmal musste er ein Exemplar vor den Eltern verstecken, wenn das Cover besonders wüst war, «‹Chaos A.D.› von Sepultura zum Beispiel mit dieser umgekehrten Mumie, die hat mir selber ein bisschen Angst gemacht. Aber die Musik fand ich verdammt gut.»
Ein grosses Trotzdem
Mit dem Gitarrespielen war es am Anfang ein wenig komplizierter: Mit sechs Jahren wollte er E-Gitarre lernen, aber erst kam die Blockflöte, dann die Ukulele. Nachher, als er endlich mit Gitarre anfangen durfte, gab es in Luzern nur Lehrer:innen für akustische: «Das muss man sich mal vorstellen, in den Neunzigern, als Rockmusik so wahnsinnig präsent war.» Er habe sich dann so lange beschwert, bis die Luzerner Musikschule seinetwegen einen Lehrer für elektrische Gitarre einstellte. «Das klingt jetzt blöd, ist aber wirklich wahr.»
Vorgespult zu «Halcyon Future», wo in all dem Fragenden, Uneindeutigen auch diese Bestimmtheit aufscheint. Ein Album als grosses Trotzdem, oft leise, hintenraus auch laut und wild: Wie all diese Töne, Schichten und Muster übereinanderflattern, klingen, blinken, leuchten. «Es ist so viel schwieriger, eine hoffnungsvolle Musik zu machen als eine düstere», sagt Manuel Troller, das Album sei ein Versuch in diese Richtung. Wie geht man dem Kitsch und den allzu offensichtlichen Pfaden aus dem Weg? Trotz der konsequenten Struktur wird das zwanzigminütige «Halcyon Future II» im letzten Viertel immer zappeliger, verzerrter, aufmüpfiger, kommt da also immer mehr zusammen, das sich reiben will. Troller sagt: «Wenn alles sehr beschissen ist, gibt es immer noch die Möglichkeit, eine Musik ganz laut zu hören und sich darüber zu freuen.»
Das Album «Halcyon Future» von Manuel Troller ist im April 2024 beim Label Three:Four Records/Meakusma erschienen.