01.04.24
Literatur
Versteckspiele mit der Sprache
Wenn der ägyptische Autor Wagdy El Komy Anfang April am Lettera – Literaturfest Luzern liest, wird er ziemlich genau drei Jahre in der Schweiz gelebt haben: ein Glück mit vielen Grautönen.
Franziska Nyffenegger (Interview) und Djamila Grossman (Bild)
Die Held:innen seiner Geschichten heissen «Hüter der Tränen», «Verfasser von Soldatengeschichten» oder «Ehefrau des Erhängten». Er erzählt von Kommandanten, Offizieren und Soldaten, manchmal auch von Journalist:innen, Sozialarbeiter:innen oder Wahrsagern. Dabei geht es nie um den:die Einzelne:n, sondern immer um das Schicksal der Vielen und ihr Leben unter den Bedingungen der Gewalt. Es sind berührende und aufwühlende Geschichten mit oft überraschenden Wendungen und voller Verstecke für das Eigentliche.
Als Exponent der (gescheiterten) Revolution musste sich Wagdy El Komy, geboren 1980, in seiner Heimat ein preisgekrönter Autor mehrerer Romane und Journalist bei einer Tageszeitung, zwischen einem schikanösen Leben mit Maulkorb in Kairo oder einem prekären Leben im Exil entscheiden. Als ich ihn für ein Gespräch treffe, bereitet er sich gerade auf eine Deutschprüfung vor.
Wagdy El Komy: Seit zwei Jahren kämpfe ich mit dieser Sprache. Deutsch ist richtig, richtig schwierig! Ich verstehe inzwischen viel, kann auch anspruchsvollen Diskussionen folgen, aber sprechen fällt mir schwer und schreiben erst recht. Was kommt in welcher Reihenfolge? Wohin müssen die einzelnen Satzteile? Und warum? Deutsch ist für mich zur Sprache der Verlorenheit und der Erschöpfung geworden.
Ich weiss wenig über das Arabische, aber ja, Deutsch zu lernen ist keine einfache Sache, gerade in der Schweiz. Wo siehst du den grössten Unterschied zwischen der deutschen Sprache und dem Arabischen?
WEK: Das Arabische ist wie das Deutsche eine komplizierte Sprache. Die Syntax bestimmt die Bedeutung und ähnlich wie im Deutschen kennen wir Fälle, mit denen es präzise umzugehen gilt. Für mich liegt der grösste Unterschied aber in der Schrift. Arabisch schreiben ist sehr nahe am Zeichnen, sehr sinnlich. Das lateinische Alphabet hingegen erlebe ich als bürokratisch.
Du arbeitest eng mit dem Übersetzer Joël László zusammen. Was lässt sich nicht übersetzen?
WEK: Ganz viel, leider, insbesondere dialektale Ausdrücke und Wendungen, wie sie in meinen Texten häufig vorkommen. Das ägyptische Arabisch verfügt über viele sehr alte Vokabeln. Da liegen historische Spuren in der Sprache, die nicht einfach freizulegen sind. Manchmal ist es auch für uns Ägypter:innen, als würden wir ein Museum besuchen. Die Wörter sind teilweise ein wenig angestaubt und gleichzeitig schillern sie in vielen Farben. Nicht alle Bedeutungsebenen sind heute noch zugänglich, andere hingegen schon. Das interessiert mich. Ich grabe gerne in den alten Schriften der Sufi und im Koran. Ich hatte ursprünglich ja auch Archäologie studiert.
«Niemand fragte, ob ich das Gewand des Lebens überstreifen mag», zitierst du in einem deiner Texte den persischen Philosophen Omar Chajjâm, der im 11. Jahrhundert gelebt hat. Das ist für mich ein Diamant aus einer anderen Zeit, den die Übersetzung zum Funkeln bringt.
WEK: Das Lob geht an Joël László, nicht an mich. Zu diesem Vers gibt es übrigens einen Popsong, den in Ägypten alle kennen. Die arabische Sprache entwickelt und verändert sich schnell und es ist schade, dass sich der Westen nicht mehr dafür interessiert. Unsere Literatur ist hierzulande – abgesehen von den Werken des Nobelpreisträgers Nagib Machfus – nahezu unbekannt. Umgekehrt wird viel westliche Literatur ins Arabische übersetzt und der ägyptische Markt mit Übersetzungen geradezu überschwemmt.
«Dann gefällt mir die Formel ‹Es freut mich, Sie kennengelernt zu haben›. Ich finde sie hilfreich, um mich aus unangenehmem Smalltalk zu befreien, und ich kann sie inzwischen wirklich fehlerfrei aufsagen.»
Gibt es – trotz aller Mühe – für dich im Deutschen auch so etwas wie Lieblingswörter oder -wendungen?
WEK: Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Spontan fällt mir das Schweizerdeutsche Verb «luege» ein. Das fühlt sich für mich lustig an, weil ich nicht verstehe, woher es kommt. Es hat mit «to see» im Englischen und «sehen» im Deutschen so gar nichts zu tun. Dann gefällt mir die Formel «Es freut mich, Sie kennengelernt zu haben». Ich finde sie hilfreich, um mich aus unangenehmem Smalltalk zu befreien, und ich kann sie inzwischen wirklich fehlerfrei aufsagen.
Welche Macht hat die Literatur?
WEK: Offenbar eine grosse, sonst müssten wir Schreibenden nicht ins Exil. Wir sind ja auch nicht die erste Generation Schriftsteller:innen, der Diktatoren und Militärregierungen mit Repression begegnen. Das Geschichtenerzählen macht Denkräume auf und davor haben die Gewaltherrscher Angst.
In einer deiner Geschichten steht der Satz: «Staatliche Beamte verabscheuen das Schreiben. Sie hassen jegliche Fiktion und Fantasie.»
WEK: Leider schikanieren uns nicht nur autoritäre Befehlshaber wie Abd al-Fattah as-Sisi, sondern auch ganz gewöhnliche Regierungsangestellte. Die Sprache der Poesie lesen sie als Provokation.
Der Übersetzer Joël László beschreibt dein Lachen als ansteckend und auch ich staune, wie offenherzig du über belastende Themen sprichst. Wie gelingt es dir, freundlich zu bleiben?
WEK: Ich bin auch oft wütend oder traurig. Dann nehme ich mein Skizzenbuch, einen Stift und zeichne. Das Schreiben hilft auch. Beim Schreiben kämpfe ich mit den Buchstaben und den Wörtern, mit der Sprache – meiner Sprache – und kann danach der Wirklichkeit wieder gelassener begegnen. Zudem gibt es viel zu tun, sich in eine neue Gesellschaft zu integrieren. Da bleibt kaum Zeit für Depressionen.
Du lebst seit bald zwei Jahren in Winterthur, wo auch der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm lebt und arbeitet. In einem Interview mit der NZZ hat er vor einiger Zeit gesagt, für ihn funktioniere engagierte Literatur nicht. Er lebe nun mal in einem verwöhnten und überreichen Land und könne nur über das Verschontsein schreiben. Wie verändert der Alltag in der Schweiz dein Schreiben?
WEK: Bisher bin ich nicht in jenem Land angekommen, in dem Peter Stamm lebt, und ich werde dort wohl auch noch lange nicht ankommen. Ferien in den Bergen sind unbezahlbar und mein Leben wird von den Vorgaben des Sozialamtes bestimmt. Im Moment setze ich alles daran, eine Arbeit zu finden und finanziell unabhängig zu werden. Kairo ist weit weg, aber es ist auch ganz nah und der Alltag dort betrifft mich nach wie vor. Über eine WhatsApp-Gruppe meiner Familie habe ich zum Beispiel mitbekommen, dass der alte Friedhof, auf dem meine Eltern beigesetzt sind, einer neuen Strasse weichen muss. Das Grab wird aufgehoben, die Gebeine an einen neuen Ort gebracht. Dieser Vorfall wird in einer meiner nächsten Geschichten vorkommen. Meine Wirklichkeit wird nie die eines Verschonten sein und immer geprägt bleiben davon, dass sich verschiedene Wirklichkeiten überlagern und im Widerstreit miteinander sind.
Wagdy El Komy ist ein ägyptischer Autor und Journalist und lebt seit 2020 in der Schweiz. Seine Erzählungen «Hüter der Tränen» wurden 2022 in der Reihe «Essais Agités» beim Verlag Der gesunde Menschenverstand veröffentlicht. Darin schildert El Komy ein Ägypten, das nach dem Arabischen Frühling in einer repressiven Wende zu versinken droht.
Das Buch «Hüter der Tränen» von Wagdy El Komy ist im November 2022 beim Verlag Der gesunde Menschenverstand erschienen.